Kiebitz (Vanellus vanellus (L.))
Brutvögel und rastende Grünland-Limikolen
Art und Abgrenzung der Fortpflanzungs- und Ruhestätte (FoRu)
„Weite Abgrenzung“
Fortpflanzungsstätte: Der Kiebitz legt sein Nest im Offenland am Boden oder auf Bulten im Grünland sowie auf Äckern an. Das Nest wird jedes Jahr neu gebaut. Die Ortstreue ist meist hoch ausgeprägt, allerdings besteht auch die Fähigkeit zu Umsiedlungen zumindest über kleine Entfernungen als Anpassung an Veränderungen an Kulturlandbrutplätze (BAUER et al. 2005: 435). Die Art neigt zur Bildung von kleinen, lockeren Kolonien. Da die Jungvögel Nestflüchter sind, ist das engere Umfeld mit dem nach dem Schlüpfen zur Jungenaufzucht notwendigen Strukturen der Fortpflanzungsstätte hinzuzurechnen. In der Konsequenz umfasst die Fortpflanzungsstätte damit den Bereich der Nestanlage und den brutzeitlichen Aufenthaltsraum bis zum Flüggewerden der Jungtiere. In der Regel ist hierfür ein Raumbedarf von mind. 2 ha bzw. die gesamte genutzte Parzelle (ggf. in Kombination mit Nachbarparzellen z. B. bei Kiebitzbruten auf Acker, s. u.) um den Neststandort bzw. den Revier-Mittelpunkt abzugrenzen. Bei kolonieartigem Vorkommen ist die gesamte Kolonie zuzüglich der Nahrungshabitate als Fortpflanzungsstätte abzugrenzen. Dabei ist zu beachten, dass die Brut häufig auf einem Acker stattfindet, die Jungenaufzucht dagegen (wenn vorhanden) im benachbarten Grünland erfolgt. Dabei können Wanderungen bis zu > 500 m zurückgelegt werden (ANDRETZKE et al. 2005).
Ruhestätte: Der Kiebitz nächtigt in der Regel am Boden. Die Abgrenzung der Ruhestätte von Brutvögeln ist in der Abgrenzung der Fortpflanzungsstätte enthalten. Die Ruhestätte von Durchzüglern bzw. Rastbeständen ist im Steckbrief Kiebitz - Rastvögel beschrieben. Darüber hinaus sind die Ruhestätten einzelner Individuen unspezifisch und räumlich nicht konkret abgrenzbar.
Lokalpopulation
- Kiebitz (Brutvorkommen): Vorkommen im Gemeindegebiet
- Kiebitz (Rast/Wintervorkommen): Vorkommen in einem Schutzgebiet; Vorkommen im Kreisgebiet
Habitatanforderungen
- Der Kiebitz (im Folgenden nach GLUTZ VON BLOTZHEIM et al. 1999 S. 440 f.) bevorzugt als Brutplatz möglichst flache und weithin offene, baumarme, wenig strukturierte Flächen ohne Neigung mit fehlender oder kurzer Vegetation zu Beginn der Brutzeit. Auch während des Jungeführens ist niedrige Vegetation von entscheidender Bedeutung. Ihre tolerierte Höhe wächst mit abnehmender Dichte der Einzelpflanzen, wobei pflanzensoziologische Aspekte eine untergeordnete Rolle spielen. Für die Biotopwahl im Frühjahr, wenn die Endhöhe der Vegetation noch nicht erkennbar ist, scheint die Bodenfarbe ausschlaggebend: schwarze oder braune bis graugrüne Flächen werden lebhaft grünen vorgezogen. Weiterhin spielen auch Brutort- und Geburtsortstreue eine wichtige Rolle. Die auf wenige Faktoren zu reduzierenden generellen Biotopansprüche erklären die Vielfalt der heute besiedelten Biotope und die im Verlauf der letzten hundert Jahre großräumig erfolgte Umstellung hinsichtlich der Bodenfeuchtigkeit.
- Die ehemals und z.T. auch heute noch im Kulturland zu beobachtende Vorliebe für hohe Bodenfeuchtigkeit ist in erster Linie im Zusammenhang mit den differenzierten Ansprüchen an die Vegetationshöhe zu verstehen: auf an moorigen Stellen, Überschwemmungsflächen oder hochgradig staunassen Böden ist die Vegetationshöhe im Frühjahr geringer als auf Kunstwiesen. Wirtschaftliche Eingriffe, wie Mähen von Wiesen, Weidebetrieb, Bearbeitung von Ackerland, können daher durch ihren Einflußss auf die Vegetationshöhe fehlende Bodenfeuchtigkeit bis zu einem gewissen Grad ersetzen, vor allem wenn Bodenbearbeitung die Erreichbarkeit der Nahrung fördert und die Härte trockener Böden dadurch kompensiert wird. Allerdings ist für den Neststandort die Erreichbarkeit der Nahrung keineswegs immer ausschlaggebend, wie auch Ansiedlungen auf Ruderalflächen, Ödländereien, Kies- oder Schotterbänken beweisen. In solchen Fällen liegen die Nahrungsflächen außerhalb der Nestumgebung; auch einer durch Heranwachsen der Vegetation ungünstigen Höhe zur Zeit des Schlüpfens kann durch Abwanderung begegnet werden (KOOIKER 2000 S. 341).
- Die Vegetationshöhe zu Beginn der Brutzeit soll im Grasland 5-8 cm und in Getreideäckern 12-15 cm nicht überschreiten. SCHIFFERLI et al. (2009) fanden in der Schweiz bei 2/3 aller untersuchten Nester am Schlüpftag eine Vegetationshöhe von lt; 20 cm. Bei locker stehender Vegetation, die die Fortbewegung nicht behindert, können auch größere Höhen toleriert werden (z. B. Maisfelder bis mehrere Zentimeter). Als Deckung und Schutz für die Küken sind auch (kleinflächig) höher bewachsene Strukturen in den Nahrungsgebieten oder direkt anschließend bedeutsam (MÜLLER et al. 2009 S. 329 f.).
- Die Amplitude der heute in Mitteleuropa besiedelten Flächen, deren Struktur den genannten Grobmerkmalen entspricht, reicht von nassen bis hin zu trockenen Standorten und umfasst z. B. Groß- und Kleinseggenrieder, Pfeifengraswiesen, Glatthafer- und Knaulgraswiesen, Viehweiden, Heideflächen, Magergrünland auf Flugplätzen, Ackerland (Wintergetreide-, Mais-, Futter- und Zuckerrübenfelder, Kartoffeläcker, Kleeschläge, Stoppelfelder und Brachäcker) sowie Industriebrachen (KOOIKER 2000). In Abhängigkeit von Vegetationshöhe und -dichte verschiebt sich das Verhältnis in den Anteilen der Siedler auf Grasland und Ackerflächen zwischen Erst- und Nachgelegen bzw. Früh- und Spätbruten.
- In NRW liegt der Anteil der Ackerbrüter bei knapp 90 % (GRÜNEBERG & SCHIELZETH 2005).
- Der Kiebitz nistet – wenn möglich – gesellig, die Nester stehen oft in Sichtkontakt. Die Neigung zur Koloniebildung ermöglicht eine gemeinschaftliche Verteidigung des Brutplatzes gegenüber Luft- und Bodenfeinden zusammen (BAUER et al. 2005 S. 436) (Einzelpaare haben geringere Abwehrmöglichkeiten und daher oft geringen oder keinen Bruterfolg).
- Grundsätzlich sollen Maßnahmen möglichst nahe zu bestehenden Vorkommen umgesetzt werden.
- Kiebitze suchen für die Nistplatzwahl bevorzugt die Nähe von Artgenossen auf (JUNKER et al. 2006, KOOIKER & BUCKOW 1997), was zur Bildung von kolonieartigen Brutstrukturen führen kann. Durch die gemeinschaftliche Verteidigung der Kolonie erhöhen sich die Chancen, Luft- und Bodenfeinde erfolgreich abzuwehren. Der Erfolg der koordinierten Feindabwehr ist jedoch in Frage gestellt, wenn die Koloniegröße auf unter 6-12 Paare abnimmt (SCHIFFERLI et al. 2009, MÜLLER et al. 2009). Für die Schweiz empfehlen MÜLLER et al. (2009 S. 347) im Optimalfall 10-30 ha, im Minimalfall 5-10 ha für Kiebitzschutzprojekte.
- In verschiedenen Untersuchungen wird für den Kiebitz (und andere Wiesenlimikolen) darauf hingewiesen, dass die Offenheit der Landschaft ein wichtiger Punkt in Bezug auf die Habitatwahl beider Arten ist (z. B. VAN DER ZANDE 1980). Dies wird meist mit der Meidung von Luft- oder Bodenprädatoren in Zusammenhang gebracht, da viele der im Grünland lebenden Prädatoren auf Hecken oder Feldgehölze angewiesen sind. Bei günstigen Habitatbedingungen werden Vertikalstrukturen ggf. toleriert. In der Regel sollen Maßnahmenflächen daher so angelegt werden, dass sie einen (weitgehend) freien Horizont aufweisen und keine hohen, geschlossenen Vertikalkulissen (große und dichte Baumreihen, Wälder, Siedlungen, große Hofanlagen) in der Nähe von mind. 100 m aufweisen (fachtgutachterliche Einschätzung). OOSTERVELD & ALTENBURG (2005, zit. bei HÖTKER et al. 2007 S. 87) geben als Faustregel an, dass ein Wiesenvogelgebiet auf einer Fläche von mindestens 100 ha offen und unzerschnitten sein sollte.
- Schwedische Forscher stellten beim Kiebitz fest, dass Nester, die weniger als 50 m von einem Baum, Busch oder einer Sitzstange entfernt waren, auf die sich gefiederte Nestfeinde hätten setzen können, einen geringeren Schlupferfolg hatten als Nester, die weiter als 50 m entfernt lagen. Eine Bevorzugung weithin offener Standorte bzw. ein dortiger höherer Bruterfolg wird auch z. B. von CHAMBERLAIN et al. (2009) angegeben. Kiebitze tolerieren aber in gewissem Maße Hecken und Einzelbäume, die ihren Brutstandort berühren oder sogar mehrseitig umgrenzen. So wurden auch kleinparzellierte, mehrseitig von Büschen, Bäumen, Wällen oder Feldgehölzen umsäumte Felder erfolgreich besiedelt. KOOIKER (2000 unter Bezug auf eigene Untersuchungen bei Osnabrück und BERG et al. 1992 für Schweden) vermutet, dass der Beutedruck durch Nesträuber in Stadtrandlage mit kleinparzellierten, gebüsch- und baumreichen sowie technischen Strukturen möglicherweise doch nicht größer ist als in der offenen Feldflur. Handtke (1995, S. 27) berichtet von einem strukturierten Gebiet in der Wesermarsch. Nach fünfjährigen Kartierungen zeigt sich, dass der Raum trotz vieler Strukturen von Kiebitz und Uferschnepfe fast im ganzen Bereich angenommen wurde. Diese Arten tolerierten die Strukturen, wenn die übrigen Rahmenbedingungen (z. B. hohe Wasserstände, Nahrungsangebot, keine menschlichen Störungen) optimal sind. JUNKER et al. (20006) fanden bei Kiebitz und Uferschnepfe eine Meidung von Feldgehölzen bis ca. 250 m, bei den Nachgelegen war dagegen keine Meidung erkennbar. Die Autoren interpretieren dies so, dass zum Zeitpunkt der Nachgelege kurzrasige Flächen selten sind und der Faktor „niedrige Vegetation“ eine größere Rolle für die Nistplatzwahl spielt als die Offenheit der Landschaft. Weiterhin kann es sein, dass je später ein Gelege produziert wird, umso eher sich die Wahl des Neststandortes an die Präsenz vorhandener Prädatoren anpasst.
- KREUZIGER (2008) diskutiert das Meideverhalten mehrerer Wiesenbrüter bezüglich Freileitungen. Bei insgesamt widersprüchlichen Befunden sei eine Meidung bis ca. 100m möglich. Bei guter Habitatqualität waren die Meideeffekte vernachlässigbar, ansonsten können sie zum Tragen kommen (ähnlich HANDKE 1994).
Art und Abgrenzung der Fortpflanzungs- und Ruhestätte (FoRu)
„Weite Abgrenzung“
Ruhestätte: Bei den Arten handelt es sich um Zug- und Rastvögel, die während der Frühjahrs- und/oder Herbstrast in der Regel in Trupps an strukturell geeigneten Plätzen rasten. Neben fakultativ und nur sporadisch genutzten Rastplätzen gibt es regelmäßig von größeren Gruppen genutzte traditionelle Rastplätze, die für die Auffrischung der Fettreserven von Bedeutung sind. Diese traditionellen Rastplätze sind jeweils als Ruhestätte abzugrenzen, wobei jährliche Verlagerungen aufgrund landwirtschaftlicher Nutzung auftreten können. Die hier behandelten Arten rasten vorwiegend auf Grünland, jedoch treten Überschneidungen zu den vorwiegend im Umferbereich rastenden Limikolen auf (siehe Formblatt für Alpenstrandläufer, Bekassine, Bruchwasserläufer, Dunkler Wasserläufer, Flussuferläufer, Grünschenkel, Rotschenkel, Uferschnepfe, Waldwasserläufer und Zwergschnepfe). Insbesondere der Kampfläufer kann auch auf Schlammflächen rasten.
Lokalpopulation
- Goldregenpfeifer, Großer Brachvogel, Kampfläufer, Kiebitz (Rast/Wintervorkommen): Vorkommen in einem Schutzgebiet, Vorkommen im Kreisgebiet
- Großer Brachvogel (Brutvorkommen): Vorkommen in einem Schutzgebiet, Einzelvorkommen
- Kiebitz (Brutvorkommen): Vorkommen im Gemeindegebiet
Habitatanforderungen
- Goldregenpfeifer: Grünland und Feuchtwiesen mit geringer Vegetationshöhe sowie Äcker in der weitgehend offenen Landschaft (LANUV 2010b)
- Großer Brachvogel: Grünland mit niedriger Vegetation, Feuchtgrünland mit Nasswiesen, Rieselfelder (LANUV 2010b), Schlafplätze auch auf Kiesbänken in Abgrabungen (SUDMANN unpub.).
- Kampfläufer: Feuchtgrünland mit hohem Grundwasserstand und Blänken, versumpfte Flächen, Hoch- und Niedermoore, offene Stellen mit Schlammboden (LANUV 2010b)
- Kiebitz: Grünland und Feuchtwiesen mit geringer Vegetationshöhe sowie Äcker in weitgehend offener Landschaft (LANUV 2010b). Schlafplätze auch auf Kiesbänken in Abgrabungen (SUDMANN unpub.).
- Schlaf- und Nahrungshabitate können räumlich identisch sein, ansonsten sollen sie in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander liegen (umso näher, desto günstiger).
- Die Arten können miteinander vergesellschaftet auftreten.