Kiebitz  (Vanellus vanellus (L.))

EU-Code: A142

Art und Abgrenzung der Fortpflanzungs- und Ruhestätte (FoRu)

„Weite Abgrenzung“

Fortpflanzungsstätte: Der Kiebitz legt sein Nest im Offenland am Boden oder auf Bulten im Grünland sowie auf Äckern an. Das Nest wird jedes Jahr neu gebaut. Die Ortstreue ist meist hoch ausgeprägt, allerdings besteht auch die Fähigkeit zu Umsiedlungen zumindest über kleine Entfernungen als Anpassung an Veränderungen an Kulturlandbrutplätze (BAUER et al. 2005: 435). Die Art neigt zur Bildung von kleinen, lockeren Kolonien. Da die Jungvögel Nestflüchter sind, ist das engere Umfeld mit dem nach dem Schlüpfen zur Jungenaufzucht notwendigen Strukturen der Fortpflanzungsstätte hinzuzurechnen. In der Konsequenz umfasst die Fortpflanzungsstätte damit den Bereich der Nestanlage und den brutzeitlichen Aufenthaltsraum bis zum Flüggewerden der Jungtiere. In der Regel ist hierfür ein Raumbedarf von mind. 2 ha bzw. die gesamte genutzte Parzelle (ggf. in Kombination mit Nachbarparzellen z. B. bei Kiebitzbruten auf Acker, s. u.) um den Neststandort bzw. den Revier-Mittelpunkt abzugrenzen. Bei kolonieartigem Vorkommen ist die gesamte Kolonie zuzüglich der Nahrungshabitate als Fortpflanzungsstätte abzugrenzen. Dabei ist zu beachten, dass die Brut häufig auf einem Acker stattfindet, die Jungenaufzucht dagegen (wenn vorhanden) im benachbarten Grünland erfolgt. Dabei können Wanderungen bis zu > 500 m zurückgelegt werden (ANDRETZKE et al. 2005).

Ruhestätte: Der Kiebitz nächtigt in der Regel am Boden. Die Abgrenzung der Ruhestätte von Brutvögeln ist in der Abgrenzung der Fortpflanzungsstätte enthalten. Die Ruhestätte von Durchzüglern bzw. Rastbeständen ist im Steckbrief Kiebitz - Rastvögel beschrieben. Darüber hinaus sind die Ruhestätten einzelner Individuen unspezifisch und räumlich nicht konkret abgrenzbar.

Lokalpopulation

  • Kiebitz (Brutvorkommen): Vorkommen im Gemeindegebiet
  • Kiebitz (Rast/Wintervorkommen): Vorkommen in einem Schutzgebiet; Vorkommen im Kreisgebiet

Habitatanforderungen

  • Der Kiebitz (im Folgenden nach GLUTZ VON BLOTZHEIM et al. 1999 S. 440 f.) bevorzugt als Brutplatz möglichst flache und weithin offene, baumarme, wenig strukturierte Flächen ohne Neigung mit fehlender oder kurzer Vegetation zu Beginn der Brutzeit. Auch während des Jungeführens ist niedrige Vegetation von entscheidender Bedeutung. Ihre tolerierte Höhe wächst mit abnehmender Dichte der Einzelpflanzen, wobei pflanzensoziologische Aspekte eine untergeordnete Rolle spielen. Für die Biotopwahl im Frühjahr, wenn die Endhöhe der Vegetation noch nicht erkennbar ist, scheint die Bodenfarbe ausschlaggebend: schwarze oder braune bis graugrüne Flächen werden lebhaft grünen vorgezogen. Weiterhin spielen auch Brutort- und Geburtsortstreue eine wichtige Rolle. Die auf wenige Faktoren zu reduzierenden generellen Biotopansprüche erklären die Vielfalt der heute besiedelten Biotope und die im Verlauf der letzten hundert Jahre großräumig erfolgte Umstellung hinsichtlich der Bodenfeuchtigkeit.
  • Die ehemals und z.T. auch heute noch im Kulturland zu beobachtende Vorliebe für hohe Bodenfeuchtigkeit ist in erster Linie im Zusammenhang mit den differenzierten Ansprüchen an die Vegetationshöhe zu verstehen: auf an moorigen Stellen, Überschwemmungsflächen oder hochgradig staunassen Böden ist die Vegetationshöhe im Frühjahr geringer als auf Kunstwiesen. Wirtschaftliche Eingriffe, wie Mähen von Wiesen, Weidebetrieb, Bearbeitung von Ackerland, können daher durch ihren Einflußss auf die Vegetationshöhe fehlende Bodenfeuchtigkeit bis zu einem gewissen Grad ersetzen, vor allem wenn Bodenbearbeitung die Erreichbarkeit der Nahrung fördert und die Härte trockener Böden dadurch kompensiert wird. Allerdings ist für den Neststandort die Erreichbarkeit der Nahrung keineswegs immer ausschlaggebend, wie auch Ansiedlungen auf Ruderalflächen, Ödländereien, Kies- oder Schotterbänken beweisen. In solchen Fällen liegen die Nahrungsflächen außerhalb der Nestumgebung; auch einer durch Heranwachsen der Vegetation ungünstigen Höhe zur Zeit des Schlüpfens kann durch Abwanderung begegnet werden (KOOIKER 2000 S. 341).
  • Die Vegetationshöhe zu Beginn der Brutzeit soll im Grasland 5-8 cm und in Getreideäckern 12-15 cm nicht überschreiten. SCHIFFERLI et al. (2009) fanden in der Schweiz bei 2/3 aller untersuchten Nester am Schlüpftag eine Vegetationshöhe von lt; 20 cm. Bei locker stehender Vegetation, die die Fortbewegung nicht behindert, können auch größere Höhen toleriert werden (z. B. Maisfelder bis mehrere Zentimeter). Als Deckung und Schutz für die Küken sind auch (kleinflächig) höher bewachsene Strukturen in den Nahrungsgebieten oder direkt anschließend bedeutsam (MÜLLER et al. 2009 S. 329 f.).
  • Die Amplitude der heute in Mitteleuropa besiedelten Flächen, deren Struktur den genannten Grobmerkmalen entspricht, reicht von nassen bis hin zu trockenen Standorten und umfasst z. B. Groß- und Kleinseggenrieder, Pfeifengraswiesen, Glatthafer- und Knaulgraswiesen, Viehweiden, Heideflächen, Magergrünland auf Flugplätzen, Ackerland (Wintergetreide-, Mais-, Futter- und Zuckerrübenfelder, Kartoffeläcker, Kleeschläge, Stoppelfelder und Brachäcker) sowie Industriebrachen (KOOIKER 2000). In Abhängigkeit von Vegetationshöhe und -dichte verschiebt sich das Verhältnis in den Anteilen der Siedler auf Grasland und Ackerflächen zwischen Erst- und Nachgelegen bzw. Früh- und Spätbruten.
  • In NRW liegt der Anteil der Ackerbrüter bei knapp 90 % (GRÜNEBERG & SCHIELZETH 2005).
  • Der Kiebitz nistet – wenn möglich – gesellig, die Nester stehen oft in Sichtkontakt. Die Neigung zur Koloniebildung ermöglicht eine gemeinschaftliche Verteidigung des Brutplatzes gegenüber Luft- und Bodenfeinden zusammen (BAUER et al. 2005 S. 436) (Einzelpaare haben geringere Abwehrmöglichkeiten und daher oft geringen oder keinen Bruterfolg).

  • Grundsätzlich sollen Maßnahmen möglichst nahe zu bestehenden Vorkommen umgesetzt werden.
  • Kiebitze suchen für die Nistplatzwahl bevorzugt die Nähe von Artgenossen auf (JUNKER et al. 2006, KOOIKER & BUCKOW 1997), was zur Bildung von kolonieartigen Brutstrukturen führen kann. Durch die gemeinschaftliche Verteidigung der Kolonie erhöhen sich die Chancen, Luft- und Bodenfeinde erfolgreich abzuwehren. Der Erfolg der koordinierten Feindabwehr ist jedoch in Frage gestellt, wenn die Koloniegröße auf unter 6-12 Paare abnimmt (SCHIFFERLI et al. 2009, MÜLLER et al. 2009). Für die Schweiz empfehlen MÜLLER et al. (2009 S. 347) im Optimalfall 10-30 ha, im Minimalfall 5-10 ha für Kiebitzschutzprojekte.