Graureiher (Ardea cinerea Linnaeus, 1758)
EU-Code: A028
Artenschutzmaßnahmen
- Umsiedlung von Kolonien (Av3), Anbringen von Nisthilfen (Av1.1)
- Anlage von Nahrungshabitaten (G1.1, G1.2, G6, O1, O2)
- Fazit
Maßnahmen im Einzelnen
1. Umsiedlung von Kolonien (Av3), Anbringen von Nisthilfen (Av1.1)
Allgemeine Maßnahmenbeschreibung
Graureiher brüten in Kolonien in meist starken, alten Bäumen. Bei der Maßnahme wird den Graureihern bei projektbedingter Betroffenheit des Koloniestandortes eine Umsiedlung ermöglicht, indem a) durch die Anwendung von mittelfristigen Verjüngungsverfahren und Einschlag außerhalb der Brutzeit und / oder b) durch das Angebot von Kunsthorsten die Möglichkeit zur Gründung einer Ablegerkolonie erhöht.
Maßnahme betrifft Teilhabitat und ist i.d.R. nur in Kombination mit anderen Maßnahmen wirksam: Nein
Anforderungen an den Maßnahmenstandort
- Eine ausreichende Entfernung des Maßnahmenstandorts zu potenziellen Stör- und Gefahrenquellen ist sicherzustellen (s. Einführung zum Leitfaden).
- Standort zur Gründung der Ablegerkolonie in unmittelbarer Nähe zur betroffenen Kolonie (max. 3 km in Anlehnung an UTSCHIK 1981 S. 43; je näher desto besser).
Anforderungen an Qualität und Menge
- Durchführung eines mittelfristigen Verjüngungsverfahrens und Einschlages außerhalb der Brutzeit (nach UTSCHIK (1981, 1990 S. 165 ff. für Graureiherkolonien in zur Endnutzung anstehenden Fichten-Altersklassenwäldern). Die Größe des Ausweichhabitates richtet sich nach der Größe der betroffenen Kolonie.
- Bei Kahlhieb oder Einschlag zur Brutzeit brüten viele Reiher im folgenden Jahr nicht. Es kommt zu nur wenigen Einzelbruten im Einzugsbereich der ehemaligen Kolonie mit geringem Reproduktionserfolg. Überschreitet jedoch der Anteil der innerhalb eines Jahres einzelstammweise genutzten Holzmasse die Größenordnung von 10-20 % des Vorrates nicht und wird der Einschlag außerhalb der Brutzeit durchgeführt (von September bis Anfang Februar), so stehen den Reihern ein Zeitraum von mindestens 5 Jahren zur Verfügung, um in der Nähe eine Ablegerkolonie zu gründen und umsiedeln zu können.
- Phase 1: Das Koloniezentrum wird durch gebuchteten Saumhieb freigestellt. Auch wenn hier schon einige Horstbäume gefällt werden, sinkt der Reiherbestand in der Regel nicht, da sich die Reiher auf den verbleibenden Horsten zusammendrängen. Günstiger wäre jedoch auch in dem von Reihern weniger dicht besiedelten Bereich einzelstammweise Endnutzung zur Schaffung von Femellücken.
- Phase 2 zieht sich über mind. 5 Jahre, meistens länger, hin. Die Bäume werden einzelstammweise entfernt unter Berücksichtigung von Horstbaumgruppen. Spätestens in der Mitte von Phase 2 beginnen die Reiher als Folge des sinkenden Horstbaumangebotes in benachbarte Altbestände abzuwandern. Nach Gründung einer Ablegerkolonie wird der Restbestand geräumt.
- Angebot von Kunsthorsten: Durch das Anbringen von großen, mit Nistmaterial ausgestatteten Nistkörben in potenziell geeigneten Baumgruppen wird eine Umsiedlung ermöglicht bzw. die Attraktivität des Ausweichstandortes erhöht. TILLMANNS & WOLF (2011) verwendeten Weidenkörbe mit 70 cm Durchmesser und 19 cm Tiefe. Die Maßnahmen sind eindeutig und individuell zu markieren (Bäume, an denen Nisthilfen angebracht werden).
Wiederkehrende Maßnahmen zur Funktionssicherung: Nein
Zeitliche Dauer bis Wirksamkeit
- Das mittelfristige Verjüngungsverfahren erstreckt sich über einen Zeitraum von 5-10 Jahren. Das Anbringen von Kunsthorsten ist grundsätzlich sofort wirksam, soll jedoch mit > 1 Jahr Vorlaufzeit durchgeführt werden, um den Reihern eine Eingewöhnung zu ermöglichen.
Aspekte der Prognosesicherheit
- Wesentlich für den Maßnahmenerfolg ist die fachliche Begleitung bei Planung und Durchführung durch Art-Experten.
- UTSCHICK (1981) berichtet von der erfolgreichen Umsetzung des mittelfristigen Verjüngungsverfahrens. TILLMANNS & WOLF (2011) berichten von einer erfolgreichen Umsiedlung in Grevenbroich (NRW) unter Einsatz von Kunsthorsten. Die Kunsthorste wurden zwar nicht besetzt, wirkten sich aber möglicherweise fördernd auf die Umsiedlung aus. FINKENSTAEDT & HECKENROTH (1974, zit. bei TILLMANNS & WOLF) benutzten Kunsthorste (und Volierenvögel) zur Neugründung einer Graureiherkolonie.
- Die Maßnahme wird grundsätzlich als plausibel eingeschätzt. Jedoch bestehen aufgrund mangelnder Erfahrungen Unklarheiten hinsichtlich der Annahme von Alternativstandorten und der Zeitschiene. Für die Maßnahme besteht daher allgemein nur eine geringe Eignung als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme, es ist eine Einzelfallbetrachtung und ein Monitoring erforderlich.
Risikomanagement / Monitoring
- erforderlich (maßnahmenbezogen): Ja
- erforderlich (populationsbezogen): Nein
- bei allen Vorkommen: Nein
- bei landesweit bedeutsamen Vorkommen: Nein
- bei umfangreichen Maßnahmenkonzepten: Nein
Bewertung (Eignung als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme)
- Kenntnisstand zur Ökologie der Art: hoch
- Entwickelbarkeit der Strukturen: kurzfristig
- Belege / Plausibilität: mittel
Fazit Eignung: gering
2. Anlage von Nahrungshabitaten (G1.1, G1.2, G6, O1, O2)
Allgemeine Maßnahmenbeschreibung
Bedeutende Nahrungstiere des Graureihers stellen Fische, die in stehenden oder fließenden Gewässern erbeutet werden, und Kleinsäuger dar (v. a. in Mäusejahren). In der Maßnahme werden bestehende (Fisch-) Teiche in ihrer Nutzung umgewandelt bzw. fischreiche Kleingewässer neu angelegt sowie Maßnahmen zur Extensivierung von Grünland und zur Anlage von Ackerbrachen durchgeführt.
Maßnahme betrifft Teilhabitat und ist i.d.R. nur in Kombination mit anderen Maßnahmen wirksam: Ja
Anforderungen an den Maßnahmenstandort
- Eine ausreichende Entfernung des Maßnahmenstandorts zu potenziellen Stör- und Gefahrenquellen ist sicherzustellen (s. Einführung zum Leitfaden).
- Graureiher können hohe Aktionsradien bis 20-30 km haben (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1992 S. 310). Grundsätzlich sind jedoch aus energetischen Gesichtspunkten kolonienahe Nahrungshabitate anzustreben. Daher sollen die Gewässer nicht weiter als 2 km zur Kolonie liegen.
- Überschaubares Gelände mit freier An- und Abflugmöglichkeit.
Anforderungen an Qualität und Menge
- Orientierungswerte pro Paar: Es gibt keine begründeten Mengen-, bzw. Größenangaben in der Literatur. Plausibel erscheinen folgende Orientierungswerte: Maßnahmenbedarf mind. im Verhältnis 1:1 zur Beeinträchtigung; als Faustwert werden für eine signifikante Verbesserung des Nahrungsangebotes pro Paar insgesamt mind. 2 ha Maßnahmenfläche im Aktionsraum empfohlen (möglich in Kombination untereinander), je nach lokaler Situation und Beeinträchtigung auch mehr. Bei streifenförmiger Anlage Breite der Streifen mind. 6 m (LANUV 2010), idealerweise > 10 m.
- Maßnahmen an Stillgewässern G1.1, G1.2 (z. B. Nutzungsumwandlung von bestehenden Fischteichen, Neuanlage von Gewässern):
- Die Gewässer sollen große Anteile flacher Bereiche aufweisen (10-30 cm Wassertiefe, UTSCHIK 1986 S. 4) mit Flachufern und klarem Wasser für die optische Beutelokalisierung (CREUTZ 1983 S. 33) mit Deckungsstrukturen am Ufer. Völlig freie Wasserflächen oder auch dicht verwachsene Gewässer werden vom Graureiher gemieden (ebd. S. 32).
- Bei künstlichem Besatz mit Fischen (z. B. HEPP 1975) keine Verwendung nichtheimischer Arten (z. B. keine Regenbogenforelle). Bei den Besatzfischen soll es sich um autochthone Stämme von Arten handeln, die in der Nähe des Projektgebietes vorkommen oder denen möglichst ähnlich sind und nicht um genetisch ungeeigneten Bestand aus großen Fischzuchtbetrieben. Dem Umstand, dass die Satzfische absolut krankheitsfrei sein müssen, ist in Hinblick auf die autochthone Fischfauna unbedingt ebenfalls Sorge zu tragen.
- Der Graureiher bevorzugt Fische von ca. 10-15 cm Größe (UTSCHIK 1986), max. 20-30 cm (BAUER et al. 2005 S. 264). Geeignete Fischarten sind allgemein z. B. Rotfeder (Plötze), Rotauge, Aland, Elritze, Ukelei, und andere Weißfischarten. Beim Besatz mit Nahrungsfischen sollte auf im Alter hochrückige Arten, wie Brachsen, Güster oder Karpfen verzichtet werden, da diese ab einem bestimmten Alter nicht mehr von den Graureihern verschluckt werden können. Außerdem führen die großen Exemplare dieser Arten, da sie nur noch wenige Feinde haben, dazu, dass die Bestände an Insekten-, Wirbellosen und Amphibienlarven des Gewässers innerhalb weniger Jahre drastisch schrumpfen oder gar erlöschen. – Kein Besatz mit der nichtheimischen Regenbogenforelle. Bachforellen eignen sich in der Regel nicht für Stillgewässer, da diese sich im Sommerhalbjahr zu stark erwärmen bzw. meistens zu sauerstoffarm sind.
- Maßnahmen im Grünland (O1): Grundsätzlich gelten die allgemeinen Vorgaben zur Herstellung und Pflege von Extensivgrünland (siehe Maßnahmenblatt Extensivgrünland). Je nach Ausgangsbestand kann es sich anbieten, den Anteil der Kräuter zu erhöhen, um das Nahrungsangebot für Mäuse und andere Nahrungstiere des Graureihers zu erhöhen.
- Maßnahmen im Acker: Grundsätzlich sollen bei den folgenden Maßnahmen im Regelfall keine Düngemittel und Biozide eingesetzt werden und keine mechanische Beikrautregulierung erfolgen. Ansonsten sind die im Anwenderhandbuch Vertragsnaturschutz NRW (LANUV 2010), nach denen sich die im folgenden aufgeführten Maßnahmentypen richten, angegebenen Hinweise zur Durchführung zu beachten.
- Anlage von Ackerstreifen oder Parzellen durch Selbstbegrünung – Ackerbrache (Paket 4041 im Anwenderhandbuch Vertragsnaturschutz)
- Anlage von Ackerstreifen oder –flächen durch dünne Einsaat mit geeignetem Saatgut (Paket 4042 im Anwenderhandbuch Vertragsnaturschutz; in den meisten Fällen sind selbstbegrünende Brachen, insbesondere auf mageren Böden, Einsaaten vorzuziehen)
Wiederkehrende Maßnahmen zur Funktionssicherung: Ja
- Grünland, Acker: Regelmäßige Pflege entsprechend den Ausführungen im Anwenderhandbuch Naturschutz (LANUV 2010).
- Gewässer: Sicherstellung eines für den Graureiher bedeutsamen Fischbesatzes
Weitere zu beachtende Faktoren
- Gewässer: Konflikte mit Fischerei bei Nutzteichen in der Nähe. Kein künstlicher Fischbesatz in anderweitig naturschutzfachlich bedeutsamen Teichen (z. B. für Amphibien, Libellen).
- Grünland, Acker: Ein hoher Besatz von Mäusen kann negative Auswirkungen auf angrenzende Kulturen haben.
Zeitliche Dauer bis Wirksamkeit
- Gewässer: Ab der Nutzungsumstellung bzw. ab Besatz mit Fischen.
- Grünland: Wirksamkeit innerhalb von bis zu 2 Jahren (Pflege / Herstellung von Grünland und Besiedlung durch Kleinnager).
- Acker: Die Strukturen sind innerhalb eines Jahres herstellbar. Um eine Besiedlung mit Nahrungstieren und eine Anpassung durch den Graureiher zu ermöglichen, soll die Maßnahme mit 1 Jahr Vorlaufzeit durchgeführt werden.
Aspekte der Prognosesicherheit
- Die benötigten Strukturen stehen kurzfristig bereit. Die Nutzung auch von künstlichen fischreichen Gewässern durch Graureiher ist bekannt. Die Maßnahmen zu den Gewässern werden in der Literatur z. B. von CREUTZ (1983 S. 180) sowie HÖLZINGER & KUHN (1987 S. 774) genannt. HEPP (1975) berichtet von der Herstellung eines 0,4 ha großen Gewässers mit Fischen für den Graureiher.
- Wissenschaftlich dokumentierte Nachweise liegen nicht vor. Die Maßnahmen sind von der Artökologie her plausibel. Daher besteht eine Eignung als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme.
Risikomanagement / Monitoring
- erforderlich (maßnahmenbezogen): Nein
- erforderlich (populationsbezogen): Nein
- bei allen Vorkommen: Nein
- bei landesweit bedeutsamen Vorkommen: Nein
- bei umfangreichen Maßnahmenkonzepten: Nein
Bewertung (Eignung als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme)
- Kenntnisstand zur Ökologie der Art: hoch
- Entwickelbarkeit der Strukturen: kurzfristig
- Belege / Plausibilität: hoch
Fazit Eignung: hoch
3. Fazit
Für den Graureiher besteht die Möglichkeit zur Durchführung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen bezüglich der Nahrungshabitate. Bei Betroffenheit von Kolonien sind Umsiedlungsmaßnahmen grundsätzlich möglich, jedoch Einzelfallentscheidungen und mit einem Monitoring zu begleiten.